30.06.2023

Richtung: Osten!

dispatches

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Die Reise begann eigentlich schon am Montag, 26. Juni am späten Vormittag, als ich den verhältnismäßig kurzen Weg nach Wien in Angriff nahm.

Dort ausnahmsweise Übernachtung in einem Hotel direkt am Bahnhof, weil ich keine Lust hatte, am Dienstag in aller Frühe mit meinem viel zu schweren Gepäck durch halb Wien zu gondeln.

Und wie schwer der Rucksack war!

Der Computer/Laptop musste natürlich mit, Kleidung für alle möglichen Wetterlagen, Bücher, Toilettartikeln, Reiseproviant, Lernunterlagen,... Und es läppert sich!

Schaut doch eh harmlos aus, oder nicht?


Zu wenig und schlecht geschlafen - gute Startbedingungen vor einer Nacht im Schlafwagen!

Weiter ging's dann am Dienstag um 6:10 ab Wien nach Warschau/Polen. Das war zwar nicht die kürzeste Strecke, aber mit den Zügen über Przemyśl hatte ich beim Buchen Probleme, also wurde es dann Warschau. Ankunft laut Plan um ca. 14 Uhr, dann aber doch mehr als eine halbe Stunde Verspätung. Nicht so tragisch, denn der Anschluss mit dem Nachtzug im Schlafwagen nach Kyiv fuhr erst um 17:45 Uhr - allerdings von einem anderen Bahnhof!

Also ein Ticket besorgt, und mit der Straßenbahn Nr. 28 vom Bahnhof Gdansk zum Bahnhof Wschodina. Mit dem viel zu schweren Gepäck. Alles lief nach Plan (Vorbereitung ist das halbe Leben!), trotz aller Warnungen (ja wirklich!) hat mich niemand ausgeraubt.

Am Bahnhof dann zwischendurch wieder WIFI fürs Smartphone (ja, ich weiß...), und dann erst 10min vor Abfahrt des Zuges die Bekanntgabe des richtigen Bahnsteiges - na das war dann wie beim Start des Wien-Marathons, so ein Gedränge.

Ich musste zum Wagon Nr.1 - von 15!, und natürlich war der ganz am anderen Ende des Bahnsteiges. Ich habe in meinem Leben noch nie einen so langen Zug gesehen. Die ersten 10 (?) hochmoderne polnische Wagons, die vermutlich nur bis zur Grenze drangehängt waren, der Rest schnuckelige blau-gelbe ukrainische. Vermutlich 100 Jahre alt. Das ist eine Schätzung. So Orient-Express mäßig. Keine Ahnung, wie alt der ist.


Aber ich habe mir ein "Abteil" für mich allein geleistet (das wäre rückblickend betrachtet anders aber wirklich nicht machbar gewesen!), was ganz nett war nach dem sehr gesprächigen (aber eh lustigen) 6-er Abteil im Zug von Wien nach Warschau.

Wo übrigens die Klimaanlage nicht funktioniert hatte, und dafür dann die Heizung eingeschaltet war, bevor's endlich jemand bemerkt hat!


Mordor?


Das Prozedere der Grenzüberquerung war mir rätselhaft, denn laut Fahrplan waren für den Grenzübertritt anscheinend 6-7 Stunden eingerechnet, was mit der Länge der Strecke (max. 1,5 Stunden?) nicht ganz zusammenpasste. Jetzt, wo ich es erlebt habe, weiß ich noch immer nicht, was da eigentlich genau passiert ist.

Zuerst (gegen 22:00 Uhr?) einmal Grenzbeamte, ich nehme an, das waren die polnischen bei der Ausreise, dann ging die Zugbegleiterin durch (jeder Waggon hat eine eigene Betreuung!) und wünschte uns allen ein Gute Nacht, und das nächste Mal, wenn sie uns weckt, seien wir schon in der Ukraine. (In fast nur Ukrainisch und fast keinem Englisch, muss ich sagen.)

Der Zug stand dann einfach am Fleck, und es wäre echt gemütlich zum Schlafen gewesen, hätte man einschlafen können. Nach etwa 2 Stunden ein sanftes Anrollen und langsames Weiterzuckeln. "Auch sehr angenehm", dachte ich.


Und dann ein weiterer Halt, ein weiteres Mal die Zugbegleiterin mit den Worten "ganz normale Prozedur", und dann die "echten" Grenzbeamten. (Übrigens nicht bewaffnet und überhaupt nicht martialisch aussehend!)

Ich hatte ja am meisten Sorge vor eben diesem Grenzübertritt, denn laut Info haben EU-Bürger zwar visafreien Aufenthalt bis zu 3 Monaten in der Ukraine, aber wenn man gefragt wird "What is the purpose of your stay?", dann braucht man anscheinend doch eine gute Antwort, und außerdem verschiedene Sachen vorzuweisen: zum Beispiel eine Hotelreservierung, Einladung zu einer Veranstaltung, einen Beweis, dass man genug Geld hat, eine Reise-Krankenversicherung...

Und wer weiß schon, was in Zeiten wie diesen ein guter Grund ist...? "Urlaub" klingt vielleicht wenig überzeugend.

Naja, es war dann relativ kurz und schmerzlos. "Klaudia, what is the purpose of your stay?" hat mich der junge Mann in perfektem Englisch gefragt, und meine Hotelreservierung hat ihm anscheinend gereicht.

"Jetzt kann ich endlich beruhigt schlafen", dachte ich, als wir nach eine halben (?) Stunde wieder weiterrollten. Weit gefehlt! Die Schienenspur in der Ukraine ist anders als in weiten Teilen der EU, und ich weiß nicht genau, wie die Spurweite angepasst wird, aber es hat sich so angefühlt und angehört, als ob jedes einzelne Rad mit dem Vorschlaghammer von der alten in die neue Position gehämmert wurde.

Das dauerte etwa 2 Stunden (Schätzung, ich hab nicht zu oft auf die Uhr geschaut, und ich bin einmal in dem Krawall wirklich eingeschlafen!), danach fuhr der Zug dann ein Stück, und blieb eine Weile stehen, nach teilweise kräftigem Ruckeln und Stocken. Das ging dann etwa im Halbstundentakt bis zum ersten regulären Halt in der Ukraine (Ковель) so weiter, wo es langsam auch hell wurde.

(Das Foto ist von dem Ort, wie die "Umspurung" gemacht wurde: Ягодин.)


Die nächsten 7 Stunden bis Kyiv (mit nur einem weiteren Halt) raste der Zug gefühlt schnurgerade dahin, und ich habe versucht, noch ein wenig zu schlafen, was mehr schlecht als recht gelungen ist. (Ich glaube, da war viel "Sekundenschlaf" dabei und kaum richtiges Schlafen.)


Die Gegend war nicht sehr spannend, denn wie auch schon in Polen ist es sehr sehr flach. Über große Strecken fährt man durch in den Wald geschlagene Schneisen, entlang einer Begleitstraße und Stromleitungen.

Foto symbolisch für einen großen Teil der Strecke:


Natürlich, es gibt auch Äcker und viele Gewässer, und vermutlich auch Zivilisation, aber wir durchquerten hauptsächlich kleine Orte mit wenigen Häusern und keine größeren Städte. Die Zugbegleiterin ließ sich bis kurz vor Kyiv überhaupt nicht mehr blicken, und auch sonst war es extrem ruhig. Da waren auch Kinder an Bord, aber selbst von denen hörte man keinen Mucks. Außer schnarchende Nachbarn, aber die gibt's anscheinend überall.

Pünktlich um 13:02 Uhr Ankunft in Kyiv, ich wurde dort - vom Hotel organisiert - abgeholt, wobei bei dem Verkehr und der verschnörkselten Strecke, die der Fahrer wohl fahren musste (nein, ich habe nicht nach Kilometern bezahlt!), wäre ich zu Fuß wahrscheinlich auch nicht viel langsamer gewesen. Aber der schwere Rucksack! Der übrigens gar nicht mehr SO schwer war, weil ich 1. den Reiseproviant (und vor allem die Getränke!) weggenascht, und 2. noch ein letztes Mal umgepackt hatte.


So müde. Ich weiß nicht mehr, wann ich zuletzt SO müde war, und das heißt was, denn ich war im letzten Jahr oft und ausgiebig müde.

Also nur eine ganze kurze Runde raus vor die Tür, und dann sehr früh ins Bett: Um kurz nach 20:00 Uhr (eigentlich 19:00 Uhr, wenn man die Zeitzone berücksichtigt) eingeschlafen und bummfest bis 5:30 Uhr durchgeschlafen. Kein Air Raid Alarm zum Glück!



Selbstversorger - Apartement: Mit Waschmaschine!


Donnerstagmorgen - wie angekündigt: Es regnet und ist angenehm kühl.
Es gibt schlimmeres!



 
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