29.06.2023

Warum Ukraine? 1/3 - Arbeitsfrust

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personal

Auch wenn es jetzt so aussieht, als wäre alles von langer Hand geplant gewesen, ist dem ganz und gar nicht so. Vielmehr sind ein paar langjährige, voneinander unabhängige Ereignisse und Entwicklungen jetzt in einem (Zeit-)Punkt zusammengekommen.

Ich habe es in den letzten Jahren - nur kryptisch hier im Blog und überdeutlich in persönlichen Gesprächen - wieder und wieder erzählt: Die Situation in der Arbeit ist sehr mühsam und wird immer schlimmer, zumindest für mich persönlich. (Nicht so für den Output und den Säckel der Chefin, wohlgemerkt.)

Wir haben nämlich in den letzten Jahren nach und nach Fachpersonal verloren (Pension, Kündigung, Gekündigtwerden) und dieses entweder a) gar nicht, b) mit Lehrlingen oder c) mit HilfsarbeiterInnen ersetzt.

Die Arbeit der ersatzlos gestrichenen Kollegen hat sich vor allem auf zwei Personen aufgeteilt, wovon eine ich war. Und das Ausbilden der Lehrlinge ist auch zum Großteil mir zugefallen, weil es kaum mehr FacharbeiterInnen gab und die verbliebenen sich wenig geschert haben. Und Lehrlinge und HilfsarbeiterInnen sich gegenseitig ausbilden lassen: Suboptimal.

Aber die Chefin ist/war der Meinung, dass das schon alles irgendwie geht, also war da wenig Änderung in Sicht. Dann war da noch die Aussicht auf eine zusätzliche Projektschiene, die wir hochziehen wollten/sollten (mit fünf zusätzlichen HILFSkräften - was sonst?), also auch da: Noch mehr. Und mehr. Und mehr.

Nicht, dass ich ein ein wenig Abwechslung nicht gebrauchen hätte können, aber das wäre es ja nicht gewesen, sondern nur zusätzliche Arbeit - am Projekt und mit den neu Auszubildenden.

Es ist nämlich auch so, dass dank des Abflusses der "alten Garde" ich allein übrig geblieben war, die noch den "Hausbrauch" bei vielen Dingen kannte, weshalb ich mich nie aus Dingen raushalten konnte, auch wenn sie mich eigentlich gar nichts angehen hätten sollen. Aber da war halt sonst niemand mehr.


Dazu kommt, dass sie mir letzten August eine Stundenerhöhung von 25 auf 30 Stunden aufs Auge gedrückt hat. Das klingt nicht viel, aber im Alltag hat das für mich ein paar zermürbende Auswirkungen gehabt, auf die ich jetzt nicht näher eingehen will.

Aber unter anderem hat sich durch diese läppische zusätzliche Stunde am Tag meine Arbeitsrealität nämlich von "locker ein paar Überstunden ansammeln, dank derer ich mir das eine oder andere lange Wochenende gönnen kann" hin zu "ich schreib' entweder Minus oder bleibe freitags extralange" gewandelt.

Rückblickend war das einer der letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.


Wie dem auch sei, bei null Aussicht, dass die Situation für mich jemals besser werden würde (und ganz bestimmt nicht in absehbarer Zeit) und in dem Bewusstsein, dass ich seit mindestens 3 Jahren bei meinen Jahresrück- und -ausblicken immer dasselbe bejammert habe, habe ich Ende letzten Jahres beschlossen, den Weihnachtsurlaub zu nutzen, um mir ein konkretes Ausstiegsszenario zurechtzulegen.

Denn entgegen meiner bisherigen Erfahrung (mit dem Verlassen von Arbeitsplätzen hatte ich in der Vergangenheit nie Probleme!) sträubte sich etwas in mir, einfach draufloszukündigen.

Vermutlich hat es vor allem mit der Dauer zu tun, die ich schon an diesem Arbeitsplatz zugebracht hatte (fast 10 Jahre, im Gegensatz zu max. 3 ½ bisher) und der daraus erwachsenen Kompetenz und Verantwortung, die ich angehäuft hatte.

Was ich nicht wollte: Einfach nur die Firma wechseln und gleich weiter hamsterradeln. Dafür war mir zu sehr die Puste ausgegangen.

Komplett ohne Plan einfach hinzuschmeißen und mal entspannt Pause zu machen, erschien mir auch nicht besonders attraktiv, weil dazu 1. die Zeit gerade ungünstig ist (die Firmen rennen einem die Tür ein, unglaublich!) und 2. weil ich nicht riskieren wollte, dass ich am Ende doch wieder reumütig in den vertrauten Schoß zurückkehren würde.

Bis ich dann eine Erleuchtung hatte: Ich brauchte keinen Plan A, sondern einen Plan B. Mit einem Plan B in der Tasche könnte ich mir die nötige Zeit und Luft verschaffen, um auf Inspiration für einen Plan A zu warten.

Mit dieser Erkenntnis kam ich nach der Weihnachtspause zurück, mit einem vagen Zeitplan, dass ich eventuell bis zum Juni/Juli arbeiten würde, vielleicht etwas länger, sodass ich dann im Herbst neu durchstarten könnte.

Dass sich der Zeitpunkt dann sukzessive immer weiter nach vorne verschob (letztendlich auf den 12. Mai), ist eine andere Geschichte, aber trotzdem haben sich die letzten Wochen gezogen wie ein Kaugummi.

Die neuen KollegInnen sind inzwischen auch eingetroffen, wie ich gehört habe (aus dem Projekt wurde aber anscheinend nichts, was das ganze noch schwieriger macht: Einzuschulende Leute, aber keine wirkliche Aufgabe für sie!), ich habe also definitv rechtzeitig aufgehört, man könnte vielleicht sogar sagen: Zu spät.

Ich weiß nicht, inwieweit die Schlafstörungen der Arbeit zuzuschreiben sind, und der Tinnitus kommt und geht, aber das Gefühl, dass die Welt immer enger wird, und ich mich immer weniger rühren kann, war definitv diesem aussichtslosen Arbeitsalltag geschuldet.

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Aktuell: Supergut geschlafen (9,5 Stunden ohne Unterbrechung!), glücklicherweise ohne Air Raid Alarm, heute sehr verregnet, mehr zur abenteuerlichen Anreise vielleicht noch später.

Die To Do - Liste für heute: Ticket für Öffis besorgen, ebenso eine sim-Karte für mobilen Internet-Zugang, und außerdem Lebensmittel. Vielleicht einen oldschool-Stadtplan? Gibt's sowas noch? Kyiv ist ja sehr digitalisiert, das fällt schnell auf.


 
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