23.11.2015

Drei Fragen

ontopic

Heute beschäftige ich mich mit drei wichtigen Fragen:

1. BRAUCHE ich das?
Was bedeutet das, wenn ich sage, ich "brauche" etwas? Was sind die Dinge, ich wirklich BRAUCHE? Wie definiere ich "brauchen"?

Die grundlegendste Stufe ist natürlich das (Über-)Lebensnotwendige: Ich brauche Luft zum Atmen, Nahrung, Wasser, ausreichend Schlaf, Schutz vor Hitze und Kälte. Wenn ich das nicht habe, sterbe ich.

Die nächste Stufe umfasst die Dinge, die notwendig sind, um mein Leben subjektiv lebenswert zu machen - hier wird die Liste aber schon wesentlich weniger eindeutig: Die meisten Menschen würden aber die Zugehörigkeit zu und Anerkennung von einer Gemeinschaft nennen, oder das Gefühl, etwas sinnvolles zu tun,...

Alles andere... BRAUCHE ich nicht wirklich. Natürlich, die Grenzen sind fließend und situationsbezogen: Ein fancy Handy mag in den meisten Lebenslagen ein Luxusartikel sein, kann aber, wenn ich mich in einer Notlage befinde, auch meine einzige "lifeline" sein.


Vieles BRAUCHE ich im ursprünglichen Sinn natürlich nicht, ist aber innerhalb des gesellschaftlichen Kontext, den wir geschaffen haben, (mehr oder weniger) notwendig. Beispiel: Brauche ich ein Auto?

Die Antwort ist eindeutig: NEIN, natürlich nicht. Es gibt sehr viele Menschen, inkl. mir selbst, die gut ohne Auto auskommen. Es stimmt aber auch, dass wir unser Umfeld so gestaltet haben, dass es in vielen Gegenden immer schwieriger wird, ohne Auto auszukommen:

Die Innenstädte bzw. Dorfzentren sterben aus, Geschäfte wandern ab auf die "grüne Wiese", Bahnlinien werden stillgelegt - die Wege werden weiter, weil wir mobiler sind.

"Brauche" ich einen Job? Natürlich nicht. Unsere Spezies hat sich über hunderttausende Jahre entwickelt, ohne "Jobs" zu haben. Aber auch hier gilt: Das System in dem wir leben, macht letztendlich einen Job erforderlich, denn davon hängt am Ende ab, ob ich Zugang zu Nahrung und ein Dach überm Kopf habe.

Das ist die große, sehr schwierig abzugrenzende Gruppe der Dinge, die das heutige Leben praktischer und/oder bequemer machen. Ich finde es auch besonders schwierig, in dieser Kategorie sinnvoll zu entrümpeln: Brauche ich unbedingt einen Drucker? Natürlich nicht, aber es ist manchmal schon ganz praktisch.

(Worüber ich hier NICHT diskutieren werde, sind reine Luxusgegenstände wie Privatflugzeuge, eine Luxusyacht, drei Sportautos,... Mir wird keiner jemals weismachen können, dass irgendwer sowas WIRKLICH braucht.)


Betrachten wir nun die Dinge, die wir - rational betrachtet - eigentlich nicht brauchen, denen wir aber trotzdem eine immens große Bedeutung beimessen. Wovon ich spreche, sind Dinge, von denen wir meinen, das sie "uns ausmachen", die mit unserer Identität zu tun haben.

Dinge, an denen wir so hängen wie ein Kleinkind an einem Kuscheltier.

In meinen Leben ist das am ehesten mein Notebook, aber wie der letzte Urlaub gezeigt hat, habe ich auch ohne überlebt. Ich vermute, für viele ist dieser Gegenstand heute ihr Smartphone - es ist Gehirn, Datenbank, Freundschafts- und Adressbuch, und die Verbindung nach außen.

Wir haben auch die Tendenz, stark an "nostalgischen" Dingen zu hängen, Erinnerungsstücken. Das ist ein schmaler Grat - bin ich ein "Unmensch", wenn ich mir keine Gegenstände aus sentimentalen Gründen behalte? Oder kann ich nicht die Erinnerung in meinem Kopf pflegen?

"Outsorcen" wir nicht vielleicht allgemein zuviel aus unserem Gehirn in "externe Speichermedien"?

"Brauche" ich wirklich die Telefonnummern von Menschen, mit denen ich seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte? "Brauche" ich all die Accessoires, Gebrauchsgegenstände, Sortier- und Ordnungshilfen, Geräte,... wirklich?

Was würde sich in meinem Leben ändern, wenn ich sie nicht hätte?


Über den Umweg einer amerikanischen TV-Serie (imdb.com) bin ich auf folgendes Zitat von Erich Fromm gestoßen:

If I am what I have and if I lose what I have -
who then am I?


Wenn ich bin, was ich habe, und ich verliere, was ich habe -
wer bin ich dann?


2. Brauche ICH das?
Diese Frage ist praktischer zu behandeln als die erste Frage, denn sie zielt vor allem darauf ab, wie vernetzt ich bin mit meiner Umgebung.

Vielleicht brauche ich keine eigene Waschmaschine, wenn es im Haus einen Waschraum gibt. Oder ich kann mir die Stichsäge vom Nachbarn ausborgen, oder den Bus nehmen, anstatt mir ein Auto anzuschaffen. Oder in die Bücherei gehen und mir ein Buch ausborgen, anstatt es zu kaufen.

Gibt es einen inneren Widerstand, Gebrauchsgegenstände zu teilen, wo es sinnvoll wäre? Gibt es praktische Hürden?

Vielleicht bin ich auch in Versuchung, mir etwas anzuschaffen, nur weil alle anderen es auch haben - bei genauerem Hinsehen stelle ich aber fest, dass ICH das wirklich nicht brauche oder überhaupt haben will.

Vielleicht hat es auch Vorteile, nicht alles jederzeit zur Hand zu haben: Es verlängert unter Umständen den Zeitraum zwischen einer Idee und deren Umsetzung, was nicht immer ein Nachteil sein muss.


3. Brauche ich DAS?
Oft ist es auch so, dass wir glauben, etwas zu brauchen bzw. haben zu wollen, um ein vermeintliches Bedürfnis zu befriedigen - während in Wahrheit aber ein anderes Bedürfnis dahintersteckt, das durch die "Anschaffung" nur zugedeckt wird.

Frustessen ist ein klassisches Beispiel: Niemand isst aus Frust, weil er/sie wirklich hungrig ist. Das dahintersteckende Bedürfnis ist also ein anderes (Trauer, Langeweile, Wut,...).

In der Mediation und Konfliktlösung stößt man in der Regel auch auf dieses Phänomen: Selten ist der vorgegebene Streitgrund wirklich das, worum es geht - meistens liegt darunter eine tiefere Enttäuschung oder Verletzung, die aber meistens noch nicht einmal der betroffenen Person bewusst ist.

Man kann also durchaus auf eine Goldgrube stoßen, wenn man nicht jedes materielle Bedürfnis reflexartig befriedigt, sondern hinterfragt, was man denn EIGENTLICH braucht.

Nicht jeder, der sich ein protziges Auto kauft, ist einfach nur ein Autonarr - in Wahrheit geht es vielleicht darum, bemerkt oder bewundert zu werden, um Anerkennung also. Da stellt sich da Frage, ob man die nicht auch günstiger und letztendlich befriedigender (und umweltschonender!) bekommen kann. Dazu muss man sich aber bewusst machen, worum es überhaupt geht.


Fazit: Es kann bestimmt nicht schaden (zumindest nicht dem Individuum, vielleicht aber "der Wirtschaft"), sich diese drei Fragen durch den Kopf gehen zu lassen, bevor man sich dem nächsten Kaufrausch hingibt...


 
« home
« previous
» archives «
next »